Stellungnahme des Dachverbandes der Österreichischen Filmschaffenden zum
Entwurf einer MITTEILUNG DER KOMMISSION
Leitlinien zur Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen
Dachverband der Österreichischen Filmschaffenden/Austrian Filmmakers Association
Transparenzregister Kennnummer: 44783417195-90
Der Dachverband der Filmschaffenden, der die Interessen von 15 Mitgliedsverbänden vertritt, begrüßt die vorgeschlagenen Leitlinien zur Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen, möchte aber einige Punkte aufgreifen, die verbesserungswürdig erscheinen.
Grundsätzlich sehen wir es als ermutigendes Signal, dass sich die Kommission dieses seit langem schwelenden Problems annimmt: Die Arbeitsbedingungen im Kunst- und Kulturbereich generell, im Besonderen im Filmbereich, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewandelt, und nicht zum Vorteil der Kreativen.
Gemäß der in Österreich geltenden Gesetzeslage sind die meisten Filmschaffenden – sieht man von den klassisch selbständigen Sparten wie Drehbuch oder Filmkomposition ab – anzustellen, da sie die Merkmale von Weisungsgebundenheit, Bindung an Arbeitszeiten und Einordnung in eine betriebliche Ablauforganisation erfüllen. Die dafür zustehenden Gagen sind in verbindlichen Kollektivverträgen geregelt. Die Sozialversicherung bei Angestellten wird in Österreich über die ÖGK (Österreichische Gesundheitskasse) abgewickelt.
Bis 2001 sah die gesetzliche Reglung vor, dass selbständig tätige Künstler_innen von der Pflichtversicherung ausgenommen waren, sodass bei gleichzeitig selbständigen und unselbständigen Tätigkeiten – wie im Kunst- und Kulturbereich üblich – keine zusätzliche Versicherung nötig war, und daher auch keine Mehrfachversicherung entstand.
Das hat sich mit der Novelle des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes 2001 geändert, sodass sich ein Teil der Filmschaffenden – vor allem aus den Sparten Regie, Kamera und Schnitt – entschlossen, nur noch selbständig zu arbeiten und somit in der SVS (Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen) versichert sind. Das ersparte ihnen zwar die teilweise massiven Nachteile, die eine doppelte gesetzliche Sozialversicherung in Österreich mit sich bringt, sie unterliegen aber seither keinen Kollektivverträgen mehr. Damit sind sie nicht nur an keine Mindestgagen gebunden, auch viele andere Bereiche befinden sich – für Auftraggeber_innen und –nehmer_innen gleichermaßen – in rechtsunsicheren Verhältnissen, die Haftungsfragen genauso umfassen, wie viele anderer Bereiche.
Zum besseren Verständnis ist anzufügen, dass in Österreich im Gegensatz zu unserem Hauptkoproduktionspartnerland Deutschland nicht nur eine Versicherungspflicht, sondern eine Pflichtversicherung vorliegt, die ausschließlich staatlich geregelt ist. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Sozialversicherungssystemen (selbstständig SVS, unselbstständig ÖGK) ist, dass die SVS ihre Beiträge aus dem Jahresgewinn berechnet, während die ÖGK die Beitragshöhe nach dem Monatsbruttogehalt ermittelt. Auch umfassen die beiden Versicherungssysteme unterschiedliche Versicherungen (zB. Arbeitslosenversicherung) und auch durchaus signifikant unterschiedliche Leistungen in Kranken- und Pensionsversicherung.
Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger ist zwar bemüht, die Leistungsansprüche von Menschen, die in beiden Sozialversicherungssystemen arbeiten anzugleichen, was aber aufgrund der ganz grundsätzlich verschiedenen Zugänge nicht nur unmöglich ist, sondern auch in aller seiner Behelfsmäßigkeit frühestens mit eineinhalbjährlicher Verzögerung stattfinden kann. Daraus entsteht ein derart massiver und sehr teurer Nachteil für die Beschäftigten, dass es jedenfalls klüger ist, sich für eines der beiden Systeme zu entscheiden und dann dabei zu bleiben.
Die betrifft nicht nur jene, die in den klassischen Künstlerberufen arbeiten. Wenn ein projektweise Angestellte/r eigenes Equipment mit an das Set bringt und der/dem Produzentin, dem Produzenten vermietet, ist sie/er automatisch selbstständig und damit zu seinem Nachteil in beiden Sozialversicherungen (so zahlt er beispielsweise in der ÖGK Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, kann aber wegen seiner Zugehörigkeit zu SVS als Selbstständige_r niemals Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen! Die Beiträge sind für sie/ihn verloren.)
In der Berechnung der Höhe der Honorare für selbstständig tätige Kolleg_nnen wird dies nicht korrekt und meist zum Nachteil der Auftragsnehmer_innen berücksichtigt.
Der österreichische Gesetzgeber hat mit einer mangelhaften Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie zudem eine gravierende Ungleichbehandlung von angestellt und selbstständig tätigen Urheber_innen und ausübenden Künstler_innen offenbar mit dem Hintergedanken herbeigeführt, Künstler_innen in die Scheinselbstständigkeit zu treiben.
Dass die Kommission nun Leitlinien vorsieht, ist daher nicht nur begrüßenswert, sondern dringend notwendig.
Folgende Änderungen schlägt der Dachverband vor:
Randnummer 19: Wie bereits ausgeführt, haben sich einzelne Sparten entschlossen selbständig tätig zu sein. Das betrifft etwa in hohem Maß die Berufsgruppe der Kameraleute. Um ihrem Beruf nachzukommen, müssen Kameraleute daher über ein entsprechendes Equipment verfügen, das sie auch weitervermieten, hauptsächlich, um ihre Verdienstmöglichkeiten zu erweitern. Ähnliches gilt für Editor_innen, die ihre Schnittplätze vermieten. Daher sollten diese Einnahmen in einem bestimmten Ausmaß zulässig sein ohne den Status als Solo-Selbständige_r zu verlieren.
Randnummer 25: Die Definition, wonach sich ein_e Solo-Selbständige_r in wirtschaftlicher Abhängigkeit befindet, wenn er/sie mindestens 50% ihres/seines jährlichen Arbeitseinkommens von einer einzigen Gegenpartei bezieht, ist auf den Filmbereich nicht anwendbar. In der Realität haben Filmschaffende ständig wechselnde Arbeitgeber_innen, was auf projektbezogene Arbeitsverhältnisse zurückzuführen ist. Das heißt, dass es wahrscheinlich ist, dass das Jahreseinkommen von mehreren Produktionsfirmen bezogen wird, von denen keine 50% des Jahreseinkommens zahlt. Dennoch sind diese Filmschaffenden Solo-Selbständige, eine solche Einschränkung würde sie ausschließen, was für uns nicht akzeptabel ist. Zumindest einen Berechnungszeitraum von einigen Jahren vorzusehen wäre für uns geboten.
Randnummer 37: Ein erheblicher Teil der Filmschaffenden sind Urheber_innen und Leistungsschutzberechtigte. Die Umsetzung der hier angesprochenen Urheberrechtsrichtlinie in Österreich entspricht in keiner Weise den Erwartungen der Kreativen, im Gegenteil. Die Umsetzung hat auf niedrigstem Niveau stattgefunden und stellt österreichische Filmschaffende verglichen mit den deutschen dramatisch schlechter. Während deutsche Kolleg_innen – egal ob sie selbstständig oder unselbstständig arbeiten – 3 direkte Vergütungsansprüche gegenüber Online Plattformen haben, bleibt dieser Zugang den österreichischen Kolleg_innen, die oft in derselben Produktion Seite an Seite mit ihnen arbeiten, vollständig verwehrt. Hinzu kommt, dass sämtliche Rechte der unselbständig tätigen Künstler_innen mit den Kollektivvertragsgagen abgegolten sein sollen, ohne dass es dafür Berechnungsgrundlagen gibt oder diese zukünftige Werknutzungsarten abbilden würden. Im Gegensatz dazu, haben selbstständig Tätige zwar de jure die Möglichkeit, einen Anspruch im Einzelvertrag mit den Produzent_innen zu verhandeln, dürfen diese Ansprüche aber nicht kollektiv wahrnehmen. Die dadurch entstehende Asymmetrie erzeugt eine zusätzliche Abhängigkeit.
Wir regen daher an, dass die Kommission sich im Zusammenhang mit einem Honorarkatalog kritisch mit den unterschiedlichen Umsetzungen der EU-Urheberrechtsrichtlinie in den Mitgliedstaaten – besonders im Hinblick auf die bestehenden Koproduktionsräume – auseinandersetzt und Maßnahmen ergreift, um die schwache Position der Urheber_innen und Leistungsschutzberechtigten tatsächlich nachhaltig zu stärken.
Abschließend möchten wir den Vorschlag in Randnummer 38 ausdrücklich begrüßen, die solo-selbständigen Urheber_innen und ausübenden Künstler_innen gestattet, Tarifverträge abzuschließen.
Wien, am 22. Februar 2022
Dachverband der Österreichischen Filmschaffenden | Austrian Filmmakers Association | A-1070 Wien, Spittelberggasse 3 | Tel: +43-1-526 97 41 | E-Mail: | www.filmschaffende.at
Verband Filmregie Österreich | Österreichischer Regieverband, ADA | Verband Österreichischer FilmschauspielerInnen, VÖFS | Drehbuchverband Austria | Verband Österreichischer Kameraleute, aac | Österreichischer Verband
Filmschnitt, AEA | Verband Österreichischer FilmausstatterInnen, VÖF | dok.at – Interessengemeinschaft österreichischer Dokumentarfilmschaffender | Vereinigung österreichischer AufnahmeleiterInnen, Produktionsleiterinnen und
ProduktionskoordinatorInnen, VÖAP | Filmton Austria | Fachgruppe Film- und Medienmusik / ACOM | Vereinigung der österreichischen FilmmaskenbildnerInnen, VÖFM | Leuchtkraft – Österreichischer Berufsverband für Filmlicht und
Grip | Verband Österreichischer Casting Directors, VOECD | Verband Österreichischer RegieassistentInnen, ADs und Script Supervisor, VORS ZVR-Zahl: 698767742