STELLUNGNAHME ZU DEN TTIP VERHANDLUNGEN

von Kurt Brazda

Während die sich laufend verschärfenden Arbeits- und Existenzbedingungen unzählige Kunst- und Kulturschaffenden bereits ins Prekariat katapultiert haben, dämmert neues Unheil herauf. In Verhandlungen hinter verschlossenen Türen (!) wird ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und den USA ausverhandelt, das für die Lebensrealität vieler Europäer weitreichende Veränderungen und Einschnitte bedeuten dürfte. Das TTIP Abkommen soll noch vorhandene Handelsschranken zwischen beiden Partnern beseitigen, um den transatlantischen Warenaustausch weiter zu beflügeln.

Was auf den ersten Blick wie eine durchaus vernünftige Maßnahme zur Stärkung der beiden Handelspartner gegenüber dem asiatischen und pazifischen Raum aussieht und als solche von der Wirtschaft lebhaft akklamiert wird, erweist sich bei genauerer Betrachtung als weitestgehende Aufgabe sozialer, ökologischer und kultureller Standards des „alten“ Kontinents. Besonders bedenklich sind die geplanten Einrichtungen sogenannter „Schiedsgerichte“ mittels derer Konzerne und Wirtschaftslobbys demokratische Mechanismen schlichtweg aushebeln können, sobald der Verdacht auf „protektionistische Handelshemmnisse“ besteht. Darunter fielen soziale, ökologische und kulturpolitische Maßnahmen, die dem europäischen Wertekatalog entsprechen, der weitgehend auch auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 beruht. Die UNESCO Konvention zum Schutz und der Förderung kultureller Vielfalt, die bereits 2007 in Kraft trat, ist die sinngemäße Erweiterung dieser Grundrechte auf den kulturellen Bereich.

Diese Konvention wurde von den Vereinigten Staaten nicht unterzeichnet, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass dies in Zukunft geschehen wird, weil der US-amerikanische Zugang zu Kunst und Kultur mit dem europäischen kaum kompatibel ist.

Die Erkenntnis der Europäer, dass die „Gesetze des Marktes“ der Entstehung von authentischen kulturellen Ausdrucksformen im Wege stehen, und das Ergebnis künstlerischer Tätigkeit niemals zur bloßen Ware verkommen darf, hat bereits früh dazu geführt, dass man diese unter den besonderen Schutz der öffentlichen Hand gestellt hat.

In diesem Sinne sind die vielfältigen und unverwechselbaren Kulturleistungen unseres Kontinents nicht zuletzt auch das Ergebnis von staatlichen Förderungen und Subventionen, von Preisbindungen und sozialen und wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen, ohne die ein Überleben der Kunstschaffenden und der Sparten, die sie verkörpern, undenkbar wäre. Genau diese Unterstützungen sind es aber, die bei Abschluss von TTIP zu „protektionistischen Maßnahmen“ mutieren, also zu „Handelshemmnissen“, die aus amerikanischer Sicht entweder sofort zu beseitigen wären oder, was alle Förderinstrumente ad absurdum führen würde, auch amerikanischen Anbietern zugute kommen müssten.

Dabei legen die Amerikaner besonderes Augenmerk auf den digitalen AV Bereich, mit dem sie schon heute Milliardenumsätze in Europa erzielen. Gerade in diesem Sektor mit seinen unübersehbaren Verästelungen tummeln sich unzählige europäische Kunstschaffende, für die staatliche Förderung eine Frage des Überlebens ist. Ein Entfallen dieser Unterstützung wäre nicht nur ein Entzug von deren Existenzgrundlage sondern auch ein ernstes demokratiepolitisches Problem.

Damit hätten nämlich nur mehr jene Inhalte die Chance gesehen und gehört zu werden, hinter denen eine entsprechende Finanzkraft wirksam ist, während alles andere dem Mainstream entgegen gerichtete, insbesondere aber Systemkritik, die einen elementaren Bestandteil künstlerischen Selbstverständnis ausmacht, in den virtuellen Untergrund verräumt würde.

Im Einklang mit Kunst- und Kulturschaffenden aus ganz Europa ist daher mit allem Nachdruck zu fordern, dass der Kunst-und Kultursektor, insbesondere aber der Bereich digitaler audiovisueller Kreation aus den TTIP Verhandlungen ausgeklammert werden, darüber hinaus ist das Abkommen auch aufgrund seiner unkontrollierbaren sozialen, politischen und ökologischen Auswirkungen generell in Frage zu stellen. Kunst und Kultur ist stete Arbeit an der Humanisierung der Gesellschaft und damit das elementare Korrektiv gegen die epidemisch um sich greifende zynische Kommerzialisierung unseres Lebensraumes.

                                                                

Kurt Brazda